Borat Filmtipp

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Dass der bitterböse Humor auch auf Filmlänge trägt und sich über 80 Minuten Laufzeit nicht abnutzt, liegt daran, dass Cohen und sein Regisseur Larry Charles nicht versuchen, eine Story auf Teufel komm raus witzig zu gestalten, sondern zuerst auf die Gags und dann erst auf die Geschichte schauen: "Borat" ist eine zu einem Film zusammengestöpselte Sketchparade, ohne jemals zusammengestöpselt zu wirken: Aus 300 Stunden Filmmaterial, das, mitunter auf Video oder mit versteckten Kameras gedreht, teils aus authentischen Aufnahmen, teils aus gestellten Szenen besteht, stellte Charles, erfahren in Sachen improvisierter Komödie dank seiner Beteiligung an der in den USA immens erfolgreichen HBO-Comedyserie "Curb Your Enthusiasm" (das Vorbild für die Pro-Sieben-Reihe "Pastewka"), eine Art Reisetagebuch zusammen von einem, der aus seinem mit Vergewaltigern, Huren und Judenhassern angefüllten Heimatdorf in Kasachstan auszog, um in den "U.S. and A." das Fürchten zu lernen: Eine groteske Szene jagt die andere, wenn Borat sich querfeldein durch Amerika ackert, um in Los Angeles seine Traumfrau Pamela Anderson zu ehelichen. Nie vergisst er seinen kulturellen Auftrag, eine Doku zu drehen und mit Würdenträgern, Frauengruppen und Pastoren zu konferieren, bei Rodeos den (frei erfundenen) Text der kasachischen Nationalhymne zur Melodie von "Star Spangled Banner" anzustimmen, sich von einer Gruppe grimmiger Homeboys Gettoslang beibringen zu lassen oder einfach nur Amerikaner mit seiner Anwesenheit zu irritieren. Ohne Rücksicht auf Verluste und eigene körperliche Versehrtheit wirft sich Cohen mit anarchistischer Selbstaufgabe ins lebensgefährliche Geschehen und verschafft dem Zuschauer nicht nur irre Einblicke in amerikanische Zeiten und Sitten, sondern auch noch das unerhörteste Stück nackten Männerwrestlings der Filmgeschichte. Oder mit den Worten von Borat: Happy times!


82 Min

Jagshemash! Mit seinem Roadtrip durch das finstere Herz Amerikas liefert der britische Komiker Sacha Baron Cohen den Filmspaß des Jahres. Nach dem Triumph beim Filmfest in Toronto sollte der wüsten Sketchrevue das Tor zum Welterfolg offen stehen.

"Kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation Kasachstan zu machen", verrät der unerhörte Untertitel. Er passt wie die Faust aufs Auge. Zum einen ist "Borat" ja auch ein unerhörter und unerhört komischer Film. Zum anderen umfasst dieser eine in radebrechendem Deutsch formulierte Satz das grobe Handlungsgerüst sowie das Prinzip des nur auf den ersten Blick so derben und schamlosen, eigentlich aber ziemlich listigen Humors. Wie Fans von Sacha Baron Cohen und seiner "Da Ali G Show" auf MTV, wo die Titelfigur des Films mit sagenhaften Sketchen bekannt wurde, wissen, ist Borat Sagdiyev ein freundlicher und stets positiv gestimmter junger Mann aus Kasachstan mit Schnauzbart und billigem grauen Polyesteranzug, der als Fernsehreporter die westliche Welt bereist und seinen oftmals arrivierten Interviewpartnern aus Politik und Gesellschaft mit völ-lig unschuldig geäußerten und ausgesprochen schockierenden rassistischen, frauenfeindlichen und antisemitischen Ansichten vor den Kopf stößt. Der Clou daran ist, dass Zurechtweisungen, wenn überhaupt, meist sehr bedächtig erfolgen: Cohen macht sich zunutze, dass die wenigsten seiner Gesprächspartner einen Funken Ahnung von Kasachstan und den dortigen Gepflogenheiten haben. Im schlimmsten Fall sehen sie nur ihre Vorurteile bestätigt - wie sie um Fassung ringen und versuchen, nun ihrerseits Borat nicht vor den Kopf zu stoßen, macht den Spaß aus - sofern die freimütigen Äußerungen über Minderheiten nicht eine ungeahnte Komplizenschaft in den Menschen wecken, die Borat so trifft. Insofern ist es albern, Cohen (wie von höchst offizieller Seite geschehen) vorzuwerfen, er ziehe Kasachstan, Juden oder eine andere seiner Zielscheiben durch den Kakao: Vielmehr fühlt er damit seinen Gesprächspartnern und dem Zuschauer selbst auf den Zahn.